Geschichte

Aus Altdorf wurde Weingarten

Weingarten hieß nicht immer Weingarten. Für die Alamannen, die sich im späten 5. Jahrhundert hier angesiedelt haben, war es „Alachdorf“, das Dorf beim Heiligtum.

Aus Alachdorf wurde Altdorf, Sitz der Welfen. Die Welfen gründeten im Jahr 1056 auf dem Martinsberg das Kloster „Weingarten“. Auch wegen seines kostbaren Schatzes, der Heilig-Blut-Reliquie, stieg das Kloster Weingarten im Laufe der Jahrhunderte zum mächtigsten aller oberschwäbischen Klöster empor.

Die vollendete Buchmalkunst seiner Mönche und die prunkvollen Barockbauten stehen ebenso für den Namen „Weingarten“ wie der hier geschlossene Vertrag: Der „Weingartener Vertrag“ ließ im Jahr 1525 den Schwäbischen Bauernkrieg unblutig zu Ende gehen.

Erst 1865 nahm der Marktflecken Altdorf den Namen seines Klosters an, dessen Einfluss mit der Säkularisierung jäh zu Ende ging.

Lesen Sie die wichtigsten geschichtlichen Ereignisse:

Die Alamannen siedeln sich an

Ab dem späten 5. Jahrhundert bis zum frühen 8. Jahrhundert ließen sich die Alamannen in unserer Gegend nieder. Das bewiesen Ausgrabungen: In den 50er Jahren legten Archäologen insgesamt 801 Gräber eines Reihengräberfriedhofes frei. Dabei konnten sie auch rund 5.000 Beigaben sichern. Die Untersuchungen der Archäologen gaben wichtige Aufschlüsse über Bestattungssitten und Lebensverhältnisse der Alamannen (siehe Alamannenmuseum im Kornhaus).

Ein Name für die Siedlung, die Ende des 5. Jahrhunderts von höchstens fünf Familien gegründet wurde, ist nicht bekannt. Erst im Jahr 1036 wurde der Ort „Altdorf“ erstmals schriftlich erwähnt. Dabei lässt sich der Name von „Alachdorf“ ableiten, was so viel wie „Dorf bei“ oder „mit einem Heiligtum“ bedeutet. Dieses heidnisch-alamannische Heiligtum muss auf dem Martinsberg gelegen haben.

Die Welfen gründen das Kloster

Das Kloster Weingarten geht auf das Adelsgeschlecht der Welfen zurück, die um 800 zur Sicherung des fränkischen Großreiches in den hiesigen Raum entsandt wurden. Die Burganlage der Welfen stand wohl ebenfalls auf dem Martinsberg – so lautet der neueste Forschungsstand der Historiker. Im nächsten Jahrhundert, um 935, gründeten die Welfen ein Frauenkloster an der Scherzach.

Als diese Anlage 1053 durch Brand zerstört wurde, siedelte Herzog Welf III. die Nonnen auf den Martinsberg um. Die Welfen selbst verließen Altdorf und verlegten ihre Residenz in das benachbarte Ravensburg.

Das Altdorfer Kloster wurde zur Grablege der Welfen bestimmt – doch dazu sollte ein Männerkloster dienen. So wurden die Benediktinermönche aus Altomünster (Bayern) hierher geholt und die Nonnen dorthin verlegt. Das Jahr 1056 wurde so zum Geburtsjahr der Weingartener Benediktinerabtei.

Romanische Baukunst und Buchmalerei

Im 11. Jahrhundert wurde die erste Klosterkirche mit einer Länge von 14 Metern und einer Breite von 11 Metern gebaut. Bereits ein Jahrhundert später errichtete die Abtei von 1124 bis 1182 eine der größten romanischen Kirchen des Abendlands: 82 Meter lang und 19 Meter hoch.

Begünstigt durch erste Stiftungen des Welfenhauses, wurde das Kloster mit der Zeit zu einem kulturellen Zentrum der Region. Gemäß der benediktinischen Ordensregel pflegten die Mönche die Lektüre der Literatur. Zu größerer Bedeutung gelangte die Kunst der Buchmalerei im Skriptorium des Klosters. Bekannt sind vor allem das Berthold-Sakramentar und das Hainricus-Sakramentar, die um 1215 geschaffen wurden. Die mit kostbaren Einbänden versehenen und im Inneren mit schönsten Miniaturen ausgeschmückten Bücher befinden sich heute in der Pierpont Morgan Library in New York. Wertvolle Faksimile der beiden mittelalterlichen Handschriften sind im Stadtmuseum im Schlössle ausgestellt.

Bauernkrieg und der Weingartener Vertrag

Zu den wichtigsten Ereignissen der Weingartener Stadtgeschichte gehört der „Weingartener Vertrag“. Er beendete im April 1525 im oberschwäbischen Raum den Bauernkrieg: Die unter ihren Lasten leidenden Bauern hatten gegen ihre Herren aufbegehrt. Der Weingartener Vertrag stellte die alte Ordnung weitgehend wieder her. Das Kloster und der Ort blieben von Plünderungen und Zerstörungen nahezu verschont. Vor allem aber blieben die Bauern straffrei.

Die Verhältnisse hatten sich kaum geändert. Aber das Selbstbewusstsein der Bauern war gestärkt, denn erstmals hatten sie sich gegen ihre Herren aufgelehnt und auf ihre Rechte gepocht. Und die Herren mussten einsehen, dass sich die Untertanen nicht mehr alle Belastungen der Leibeigenschaft gefallen ließen.

Die Heilig-Blut-Verehrung

„(...) Ebenso übertrug sie diesen Schatz: einen größeren Schrein und einen anderen kleineren mit Reliquien von Heiligen; und zwei weitere höchst kostbare Schreine in Goldschmiedearbeit (...).“ Im Stiftertestament aus dem Jahre 1094 hatte Judith, die Gemahlin Welfs IV., festgelegt, was das Kloster Weingarten erhalten sollte. Unter den kostbaren Geschenken befand sich auch die Heilig-Blut-Reliquie. Zuerst wurde die Reliquie wenig beachtet, doch im Lauf der Jahrhunderte entwickelte sie sich zu einem Objekt der Verehrung.

Viele Schenkungen von Gütern und Höfen an die Abtei gehen auf das Heilige Blut zurück: Die Stifter dachten dabei auch an das „Heil der eigenen Seele“.

Der bekannte Weingartener Blutritt zu Ehren der Reliquie findet jährlich am Freitag nach Christi Himmelfahrt statt. Die Reiterprozession ist seit dem 16. Jahrhundert bekannt und fand in der Barockzeit um 1750 mit über 7.000 Reitern ihren Höhepunkt. Heutzutage nehmen rund 3.000 Reiter, zahlreiche Musikkapellen und ca. 30.000 Pilger an der Prozession durch Stadt und Fluren teil.

Das Barockkloster auf dem Martinsberg

In der Barockzeit strebten die Äbte des Klosters danach, ihre Macht und ihre Ansprüche durch repräsentative Bauwerke zu demonstrieren. Immerhin gehörten zur Herrschaft Ende des 18. Jahrhunderts rund 11.000 Untertanen und 1.200 Höfe. Die Besitzungen waren im Gebiet um Weingarten, am Bodensee, in Vorarlberg und ehemals auch in Südtirol zu finden.

Innerhalb von nur neun Jahren (1715 – 1724) wurde unter Abt Sebastian Hyller die imposante Klosterkirche (siehe Basilika) erbaut. Bewundernswert sind vor allem die Fresken von Cosmas Damian Asam, das Chorgestühl von Joseph Anton Feuchtmayer und die Orgel von Joseph Gabler.

Auf dem Martinsberg entstanden in dieser Zeit weitere barocke Klosterbauten: Der Fruchtkasten als Getreide- und Weinspeicher, die Wirtschaftsgebäude, die Prälatur für den Abt und die Verwaltung und andere Gebäude. Aus Geldmangel und auf Grund der Wirren des Siebenjährigen Krieges (1756 – 1763) zwischen Österreich und Preußen konnte die geplante symmetrische Klosteranlage nicht verwirklicht werden. Dadurch blieb der sehenswerte spätgotische Kreuzgang (1490 – 1605) erhalten.

Vom Anfang der württembergischen Zeit bis zum 2. Weltkrieg

„(...) wie mit diesem heute die milde allerhöchste Regierung des allerdurchlauchtigsten Erzhauses bei uns zur unaussprechlichen Betrübnis aller Bürger und Einwohner da hier durch die Schicksale der Zeit zu Ende gegangen ist.“ Der Bürgermeister von Altdorf, Dr. Sebastian Schafheitlin, bedauerte mit diesen Zeilen 1806 das Ende der vorderösterreichischen Zeit und den durch Napoleon hervorgerufenen Übergang an das Königreich Württemberg.

Aber auch die kirchliche Herrschaft litt unter Napoleon: Das Kloster Weingarten wurde im Zuge der Säkularisierung aufgehoben. Damit verschwand offiziell der Name Weingarten, der Ort behielt die Bezeichnung Altdorf.

Dies änderte sich erst im Jahr 1865, als der württembergische König der Gemeinde die Bezeichnung „Stadt Weingarten“ genehmigte.

Die 60er Jahre des 19. Jahrhunderts brachten Weingarten einen enormen Aufschwung: Mit der Produktion von Nähmaschinen legte Michael Schatz den Grundstein für die Maschinenfabrik (1862), weitere gewerbliche Betriebe siedelten sich an und die Garnison zog in die ehemaligen Klostergebäude auf dem Martinsberg (1868).

Viele Aufgaben warteten auf die neue Stadt: Eröffnung der Straßenbahnlinie, Neuaufbau der Wasserversorgung, Einführung des Elektrizitätsbetriebs und Verschönerung des Stadtbilds. Das kulturelle Leben wurde seit den 20er Jahren durch das Schüler- und Heimatfest, den Blutfreitag, die Fasnet und die Heimatspiele neu belebt.

Einschneidend war das Ende des Dritten Reiches: Zwischen 1939 und 1945 war Weingarten nach Ravensburg eingemeindet worden.

Im April 1945 wurde die Argonnenkaserne durch einen Bombenangriff zum großen Teil beschädigt. 51 Menschen kamen ums Leben. Es blieb der einzige Kriegsschaden, den Weingarten zu erleiden hatte.

Weingarten heute

Im Anschluss an die mühsame Nachkriegszeit ging die Entwicklung Weingartens stetig voran.
 
Die Bevölkerungszahl hat sich seit Kriegsende mehr als verdoppelt, deshalb wurden vor allem im Stadtgebiet neue Wohngebiete erschlossen.
 
Im Februar 1975 konnte das Urteil des Staatsgerichtshofs verhindern, dass Weingarten im Zuge der Gemeindereform erneut nach Ravensburg eingemeindet wurde. Nun konnte Weingarten die umfangreiche Sanierung der Innenstadt realisieren.
 
Heute ist die Große Kreisstadt Weingarten Bestandteil des Oberzentrums im Schussental mit bedeutenden überregionalen Einrichtungen: Die Pädagogische Hochschule, die Hochschule Ravensburg-Weingarten für Technik, Wirtschaft und Sozialwesen, das Tagungshaus Weingarten der Katholischen Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart, die Industrie- und Handelskammer Bodensee-Oberschwaben, das Finanzamt und andere Institutionen haben ihren Sitz in Weingarten. Das Briefverteilungszentrum der Post und das Druckhaus der Schwäbischen Zeitung sind im Gewerbegebiet „Welte Nord“ angesiedelt worden.
 
Im Kultur- und Kongresszentrum Oberschwaben wird eine breite Palette an kulturellen Ereignissen angeboten. Und für sportliche Aktivitäten stehen die attraktiven Bäder, das Lindenhofstadion und viele weitere Sporteinrichtungen zur Verfügung.

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